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Mathe-Angst

Mathe-Prüfungs-Angst

Häufig kommt es bei IQ-Tests mit hochbegabten Erwachsenen zu Panikattacken, sobald die rechnerischen Aufgaben erscheinen.

Diese Angst äußert sich u. a. mit

  • roten Flecken im Gesicht
  • erhöhter Puls
  • Kurzatmigkeit
  • Leere im Kopf
  • hohe muskuläre Spannung
  • hektische und fahrige Bewegungen
  • Schweißausbruch

Der verbale Testteil und auch der visuelle Testteil verursacht solche Reaktionen fast nie. Es sind immer die Matheaufgaben, die zu solchen Reaktionen führen.

Woher kommt diese Angst und wie entsteht sie?

Menschen mit einer hohen Intelligenz denken divergent. Das bedeutet sie haben verschiedene Rechenwege, komplexere Rechenwege im Kopf für die Lösung von Rechenoperationen. Diese Rechenwege unterscheiden sich oft von dem Rechenweg, der in der Schule als richtig gelehrt wird.

Ein Kurzes Video von Ranga Yogeshwar im Gespräch mit Gregor Gysi beschreibt es sehr gut: Ranga Yogeshwar im Gespräch mit Gregor Gysi

Viele berichten, dass sie in der Schule zwar das richtige Ergebnis hatten, der Rechenweg aber fehlte oder als falsch gewertet wurde. Das kann das Selbstvertrauen in Mathe beeinträchtigen. Damit fehlen oft die Punkte, die zu einer besseren Benotung nötig wären. Den Schülerinnen und Schülern wurde unterstellt, dass sie das Ergebnis abgeschrieben hätten, außerdem würde der gewählte Rechenweg oft nicht richtig oder zuverlässig funktionieren.

Das bedeutet, die Kinder speichern die schlechtere Zensur als „ich kann das nicht“ ab. Besonders Frauen sind davon betroffen. Ihnen wird dann häufig noch erklärt (und das soll entlastend wirken), dass sie das ja nicht können müssen und dann eben einen sozialen Beruf erlernen sollen. So zumindest haben es mir viele Frauen in den IQ-Tests erzählt. Einem Jungen wird in so einem Fall eher Unterstützung angeboten. Diese tradierten Rollenmuster sind leider immer noch sehr verbreitet. 

Dazu die Ergebnisse aus einer Studie:

„Es zeigte sich außerdem, dass diese Verzerrungen systematisch mit dem Geschlecht der Schülerinnen und Schüler zusammenhängen. Im Bereich Sprache werden die Fähigkeiten der Mädchen eher überschätzt und die der Jungen unterschätzt, in der Mathematik ist es genau umgekehrt“, sagt Olczyk. Allerdings gebe es Unterschiede zwischen den untersuchten Ländern: Im Bereich Sprache war die Verzerrung in England am größten, bei der Mathematik in Deutschland.“

Angstverstärker

Es passiert also schon sehr früh, quasi mit dem ersten Kontakt des Mathematikunterrichts, dass diese Angst entsteht. Dazu kommen noch die Hausaufgabenverbesserungen bei der gerne ein Kind ausgewählt wird um seine Hausaufgabe exemplarisch vorzustellen. Solche Situationen lösen bei den Kindern Angst aus. Denn wenn sie falsch gerechnet haben dann bekommt das die ganze Klasse mit. Sie fühlen sich bloßgestellt. Sie schämen sich. Die Angst wird genährt. 

-> Mehr zu Scham und Beschämung in der Schule 

In der Mathematik sind Lösungen eindeutig richtig oder falsch, da sie auf festgelegten Regeln und formalen Beweisen basieren. Das ist den Schülerinnen und Schülern klar und wird auch so kummuniziert. Im Gegensatz dazu ist die Bewertung im Fach Deutsch oft subjektiv, da Interpretationen von Texten, Meinungen und stilistischen Aspekten variieren können, was zu unterschiedlichen Einschätzungen führt.

Auch Rechenolympiaden vermehren Ängste. Sie sind laut den Erzählungen der Kinder und Eltern in meiner Praxis bis heute sehr beliebt bei den Lehrkräften und laufen mit verschiedenen Variationen nach ähnlichen Mustern ab:

Alle Kinder stehen auf. Die Lehrkraft stellt Rechenaufgaben und fordert dazu ein Kind auf, sie zu lösen. Wird sie richtig gelöst darf das Kind sich setzen. Ist die Lösung falsch muss es stehen bleiben. Man ahnt was passiert:

Das Kind oder die Kinder die am Ende noch stehen lernen: Ich kann kein Mathe! Die Angst wird vermehrt. Es ist keine Hilfe sondern Bloßstellung. Übrigens ist das eine sehr gute Methode, wie man Kindern Mobbing beibringt. (Wenn Lehrkräfte Beschämung und Bloßstellung als Mittel einsetzen dann „erlauben“ sie diese Methode damit. Den meisten Lehrkräften sind diese Zusammenhänge nicht bewußt. Da es unbewusst eingesetzt wird, kann es auch nicht verändert werden.)

Die Kinder, die sich gleich setzen durften speichern diese Erfahrung auch nicht unbedingt positiv ab. Gerade sehr sensible und empathische Kinder leiden enorm mit den anderen Kindern. Auch sie spüren die Angst und speichern diesen Stress in Verbindung mit Mathematik ab.

Fast alle Personen in meinen IQ-Tests haben solche oder ähnliche Erfahrungen gemacht. In der Testsituation messe ich in dem Moment dann nicht die eigentliche Fähigkeit sondern die Angst. Die Werte im sprachlichen oder auch figuralen Denken bleiben davon unberührt. Hier werden seltener Ängste angetriggert.

Die Art und Weise wie Kinder lernen dürfen macht den Unterschied

Entscheidend ist, wie man Kindern Wissen beibringt. Und sobald Elemente von Bloßstellung oder Ausgrenzung und Stress inkludiert werden kommt es zu solchem Angsterleben. Und diese Angst wird unweigerlich mit dem Inhalt verknüpft.

Kinder, die solche Erfahrungen nicht machen mussten gehen deutlich gelassener vor und haben ein stärkeres Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten.

Das wird deutlich an Schulen mit selbstbestimmten Lernformen wie der Alemannenschule in Wutöschingen. Hier nimmt die Lehrkraft keine unterweisende oder unterrichtende Rolle ein sondern eine begleitende und unterstützende Rolle. Die Rolle eines Lernbegleitenden: Alemannenschule Wutöschingen 

Da die ersten Lernerfahrungen in der Grundschule tiefe Furchen im Gehirn verursachen, es sind ja schließlich die ersten Erfahrungen mit Schule und Lernen, bleiben sie sehr stabil. Auch wenn positive Erfahrungen dazukommen – sobald wieder eine ähnliche negative Erfahrung gemacht wird verstärkt es die erste Spur im Gehirn.

Es kann sein, das man zu Hause noch ganz locker Rechenaufgaben bearbeitet, aber dann in der Testsituation von Angst geflutet wird, weil die Situation so sehr an schulische Situationen erinnert. Wieder geht es um Bewertung, darum seine Leistung zu beweisen. Sofort schlägt das Nervensystem Alarm und die Angst wird ausgelöst.

In meiner Praxis vor Ort unterbreche ich den Einzeltest, wenn nötig, und mache Entspannungsübungen. Wenn es gelingt, das Nervensystem zu beruhigen, kann der Test anschließend weitergeführt werden.

Auch Männer haben an dieser Stelle Angst im Test. Allerdings viel seltener und weniger stark ausgeprägt.

Was bedeutet das für IQ-Tests

Soll man also einfach keinen IQ-Test mehr machen? Oder den rechnerischen Teil einfach weglassen?

Nein, denn selbst wenn es unter Angst durchgeführt wird kommen oft ganz spannende Erkenntnisse zutage. Z.B. das man ein sehr gutes Zahlenverständnis hat oder das von den nur 13 bearbeitenden Aufgaben alle richtig gerechnet wurde. Oder das man es wagen kann, seinen eigenen Rechenwegen zu vertrauen um zum richtigen Ergebnis zu kommen.

Erfahrungen aus Nachtestungen zeigen, dass wenn sich die Probandinnen mit der neuen Erkenntnis ihrem Thema stellen, sie zu deutlich höheren Ergebnissen in einer erneuten IQ-Testung kommen. Ängste werden gelernt. Sie können also auch wieder verlernt werden! Und genau deshalb sind solche IQ-Tests eine enorme Hilfe. Baustellen erkennen, bearbeiten und dann Gas geben!

Sicherlich wäre es noch besser und gesamtgesellschaftlich auch ein enormer Mehrwert wenn solche Methodiken endlich verschwinden würden an den Schulen! Es ist unfassbar was diese Methodik für einen wirtschaftlichen Schaden anrichten. Denn mit Mathe-Angst werde ich mich als Frau niemals Berufsfeldern zuwenden bei denen ich rechnen muss.

Übrigens – ich hatte auch so ein Mathetrauma. Heute kann ich mich diesen Herausforderung stellen, wenn ich will. Ich will aber nicht immer 🙂