Anfangs war ich tatsächlich auch der Meinung, dass man es laufen lassen kann solange die Kids keine „Symptome“ entwickeln. Nach meiner langen Erfahrung sehe ich es inzwischen anders. Wenn man ein hochbegabtes Kind im normalen Schulsystem nicht extra fördert wird es einen Preis zahlen.
Dazu die Geschichte von Finn (Name geändert).
Finn wird im Alter von 6 Jahren getestet. Die Eltern haben eine Testung veranlasst weil eine Erzieherin darauf drängte. Finn sei irgendwie anders. Nach dem Ergebnis hat sich für die Familie nichts geändert. Die Eltern haben einen Vortrag zum Thema Hochbegabung gehört. Das war´s aber auch.
Als Finn dann mit sehr guten Noten ans Gymnasium wechselte schien erst mal noch alles prima. Finn kam gut an in der Klasse und lieferte zunächst immer noch gute Noten. Ab der 6. Klasse änderte sich das. Finn´s Noten sackten ab. Statt der üblichen 1 er kamen nun 3 er und 4 er. Außerdem lies seine Leistungsbereitschaft enorm nach. Lateinvokabeln lernen verweigerte er. Freunde hatte er noch nie viele. Höchstens 1-2. Jetzt wurde auch das immer schwieriger. Finn zog sich verstärkt in sein Zimmer zurück und reagierte häufig aggressiv auf Anweisungen der Eltern wie Zimmer aufräumen oder Hausaufgaben machen.
Die ersten Mitteilungen und Hinweise der Lehrer trudelten ein. Keiner konnte Finn´s Verhalten verstehen.
An diesem Punkt lernte ich Finn kennen. Finn erzählte mir, dass alles so schwierig ist und ihm alles so schwer falle. Er sei häufig traurig und denke manchmal auch übers Sterben nach. Die Schule sei einerseits so langweilig und andererseits kapiere er Mathe nicht mehr.
Underachievement
Laut IQ-Testung ist Finn aber sowohl im sprachlichen als auch im mathematischen Bereich hochbegabt. Was ist also geschehen?
Es ist völlig normal, dass einfach mathematische Aufgaben für hochbegabte Kinder zu einfach sind. Häufig machen sie dann Leichtsinnsfehler oder übersehen Vorzeichen etc. Stupides Auswendiglernen fühlt sich für ein hochbegabtes Gehirn an wie rennen im Sumpf. Das ist mühsam und anstrengend. Es entsteht ein Dauerstress. Dann fehlen diesen Kindern ihre Peer-Group. Normalbegabte Kinder interessieren sich für ganz andere Themen als hochbegabte Kinder. Außerdem sind hochbegabte Kinder sehr regelkonform, was auch zu Konflikten mit Gleichaltrigen führt.
Finn hatte sich auch schon lange nicht mehr aktiv am Unterricht beteiligt. Früher schon noch, doch das genervte Augenverdrehen der Mitschülerinnen und Mitschüler sowie der Lehrkräfte demotivierten ihn. Er fühlte sich dumm. Er muss doch dumm sein, wenn die ihn nicht verstehen oder hören möchten. Ab und an nannten ihn die anderen auch Streber oder Besserwisser. Das tat ihm weh. Die Lernatmosphäre war schwierig für Finn.
Etwas muss sich ändern
Nach vielen Gesprächen mit den Eltern und Finn über die Merkmale von Hochbegabung und was Finn für sein Wohlbefinden und gesunde Entwicklung braucht wagten die Eltern einen Vorstoß an der Schule. Überspringen? Drehtürmodell? Antwort der Schule: Nicht mit diesen Noten!
Schulwechsel
Da blieb dann leider nur ein Schulwechsel. Die aufnehmende Schule lies sich auf ein Überspringen ein. Finn wurde dort in der höheren Klassenstufe aufgenommen. Seine Lehrkräfte waren informiert über die Hochbegabung und mit vereinten Kräften gelang es Finn wieder zu motivieren. Natürlich waren die Noten erst kaum besser – er musste ja auch ein Jahr selbständig nachholen. Doch seine Motivation war wieder geweckt und er fand Kontakt zu neuen Freunden. Die Schule hatte auch einen Begabtenzirkel an dem er (Berechtigung war sein IQ-Test und nicht die Noten!!!) auch teilnehmen durfte. Endlich auch seine Peer-Group um ihn herum!
Zum Beginn des neuen Schuljahres startete Finn noch zusätzlich mit Begabungskursen. In der Freizeit hatte er jeden Tag gefüllt mit neuen Hobbies und in den Ferien nahm er an Mensa-Youth-Camps teil. All diese Maßnahmen führten zu einer deutlichen Verbesserung. Depressive Episoden verschwanden und Finn konnte wieder seine Leistung zeigen. Ein Notenspiegel der sich zwischen 1-3 einpendelt ist doch mega!
Wissen über Hochbegabung hilft!
Finn´s Geschichte ist ein Paradebeispiel dafür wie man mit Kindern im Underachievement umgehen muss und was es braucht, um sie da raus zu holen. Leider laufen die wenigsten Geschichten so. Woran fehlt es?
Wissen! Fachwissen bei Lehrkräften, Eltern und den Kindern. Genau deshalb biete ich Kurse und Fortbildungen an. Solange man noch den Mythen und Vorurteilen folgt verlieren wir die Kinder und sie verheddern sich in schlechten Noten, Sitzenbleiben, depressiven Episoden oder gar Suizidgedanken. Das ist einfach schrecklich.